Marie-Christine von der Bank
Zahlenrätsel – unterhaltsam und doch so lehrreich
„Darf ich zuerst?“, „Du hast doch eben schon deinen Trick verraten“, „Ich habe das gestern mit meinen Eltern gemacht. Die kamen nicht drauf“, „Meine Schwester hat mir auch eins gestellt.“ Meine Schülerinnen und Schüler empfangen mich vor der Mathestunde wild durcheinanderrufend auf dem Gang. In der Klasse herrschen schon rege Diskussionen, die ich kaum für die gemeinsame Begrüßung, den Beginn der Unterrichtsstunde, beruhigen kann.
Danach steigt die Aufregung direkt wieder. Ich habe das Gefühl, alle brennen nicht nur darauf, ihre Hausaufgaben der Klasse vorzustellen, sondern möchten ebenso von den Reaktionen ihrer Familien berichten …
Vielleicht erahnen Sie es schon: Ich habe Sie gerade mit in meine 6. Klasse zu einer Doppelstunde über Zahlenrätsel genommen. Nun sind Zahlenrätsel zur Einführung von Variablen ein alter Hut und mittlerweile finden sich viele didaktisch und methodisch aufbereitete Vorschläge zu deren Nutzung in der Fachliteratur und den meisten Schulbüchern. Es geht mir daher auf den nächsten Seiten nicht darum, den inhaltlichen Unterrichtsgang detailliert zu schildern. Der Fokus liegt auf dem Atmosphärischen des Unterrichts. In diesem Bereich sehe ich nämlich gerade die Vorteile von Zahlenrätseln zur Einführung von Variablen als Unbekannten. Rätsel erzeugen Spannung, sie verblüffen, sind lustig, wirken auf den ersten Blick vielleicht sogar merkwürdig und motivieren, der Sache auf den Grund zu gehen. Genau dabei erweist sich die Mathematik als nützlich: mithilfe von Rechentermen kann hier ein kleiner Teil der Welt entschlüsselt, aber natürlich auch entzaubert werden. Erfahrungen, die auch meine Klasse bei den Zahlenrätseln gemacht hat und die im Mathematikunterricht eine lange Tradition haben.
Lustiges und Merkwürdiges schon immer unterhaltsam
Schon Walter Lietzmann, der zu den einflussreichsten deutschsprachigen Mathematikdidaktikern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zählt, betitelte eines seiner Bücher zur Unterhaltungsmathematik als „Lustiges und Merkwürdiges von Zahlen und Formen“ (Lietzmann 1922).
Offenkundig möchte Lietzmann mit diesem Buch „die für den Mathematikunterricht brauchbaren Gebiete der Unterhaltungsmathematik zusammenstellen und überhaupt zur stärkeren Berücksichtigung solcher Probleme in der Schule anregen“ (Lietzmann 1922, S. 3). In der 1951 erschienenen 7. Auflage bezieht er dann auch den sozialen Kontext von Mathematikunterricht in seine Intention ein. Hier schreibt Lietzmann, das Buch wolle „den Lehrer, gleich welcher Schulgattung, anregen, mit gelegentlichen Scherzen, hinter denen doch oft ein ernstes Gesicht steht, seinen mathematischen Unterricht zu beleben, es will ihm selbst und seinen Schülern Freude machen, es hofft, auch den Eltern ein Lächeln abzugewinnen, wenn der Bub oder das Mädel zu Hause davon erzählt“ (Lietzmann 1951, Einband).
Für Lietzmann ist Unterhaltungsmathematik dabei kein Selbstzweck, gibt er doch zu bedenken: „Man wird im Rechenunterricht nicht ausschließlich amüsante Dinge treiben wollen. Andererseits wird aber jeder Unterricht bestrebt sein, das ‚Interesse‘ des Schülers zu erregen – gerade hier liegt das Geheimnis manchen Erfolgs verborgen […]. Gerade wenn die Beispiele einer unterhaltsamen Mathematik gelegentlich in den Unterricht eingestreut werden, wenn sie in der Stunde einen Höhepunkt, manchmal auch eine Entspannung bedeuten, wenn gelegentliche Zwischen- oder Vertretungsstunden Anlaß zur Behandlung eines umfangreicheren Kapitels der Unterhaltungsmathematik geben, dann haben sie ihre besondere Bedeutung“ (Lietzmann 1922, S. 7– 8).
Unterhaltungsmathematik spricht Lietzmann dabei auch einen langfristigen Wert für die Entwicklung des Schülers…
