Jörg Grütjen
Aneignung, Vermischung und Hybridbildung in der zeitgenössischen Kunst
Transkulturell geprägte Bilder sind komplex, da sich in ihren Erscheinungsformen verschiedene Zeiten, Räume, Lebensweisen und Werte verbinden. Um diese zu erschließen, prägte im hier vorgestellten Unterrichtsbeispiel die theoretische Beschäftigung mit Kulturbegriffen, Rezeptions- und Gestaltungsarbeit den Kunstunterricht in der Oberstufe einer Gesamtschule.
Zeitgenössische Kunst und Kultur als sich ständig wandelnde transkulturelle Gefüge zu erleben, die hochgradig hybride sind, ist eine wichtige Aufgabe des Kunstunterrichts. Dabei sollte in der Auseinandersetzung mit global gewanderten und gemischten Bildern vermieden werden, sie als statische Repräsentationen in sich geschlossener Kulturkreise, Länder oder Epochen wahrzunehmen.
Kulturelle Einflüsse kombinieren
Im Rahmen des hier vorgestellten Projektes sollen Vorstellungen von „Multikultur“ und „Interkultur“ überwunden werden, die in Alltag und Gesellschaft oft in problematischer Weise kulturelle Differenzen, „Andersheit“ und Fremdheit überbetonen oder gar erst künstlich produzieren.
Stattdessen werden die Lernenden im Rahmen von praktischen Gestaltungen ermutigt, vielfältige kulturelle Einflüsse in überraschender Weise miteinander zu kombinieren. Zu erfahren, wie, mit welchen Mitteln und mit welchen Auswirkungen sich kulturelle Symbolsysteme vermischen lassen, ist für Schülerinnen und Schüler mitunter ein längerer Prozess, der im Projekt durch verschiedene Unterrichtsphasen rezeptiv und produktiv entwickelt wurde.
Für die Schülerinnen und Schüler dreier Kunstkurse (Jg. 11 u. 13) einer Gesamtschule in Kamp-Lintfort hat das Thema eine besondere Brisanz, da die Stadt am Westrand des Ruhrgebiets in besonderer Weise von Phänomenen der Globalisierung, des Wandels und der Migrationen geprägt ist.
Hybridität in Kunstwerken und zeichnerischen Übungen erfahren
Zu Beginn erfolgt eine erste spontane Auseinandersetzung mit ausgewählten Reproduktionen von Kunstwerken. Bei all den im Rahmen des Projekts thematisierten Werkbeispielen steht die deutlich sichtbare Transformation und / oder Vermischung von visuellen Kulturen im Fokus. Bei ihnen wird deutlich, dass etwas aus unterschiedlichen Bereichen zusammengebracht und zu etwas Neuem transformiert wurde.
Ai Weiweis Arbeiten sind hierfür ein Paradebeispiel. Der chinesische Künstler „entwertet“ beispielsweise durch das Aufmalen eines Coca-Cola-Schriftzugs die sehr alten Vasen als historische Dokumente asiatischer Kultur (Abb. 1 ). Gleichzeitig werden sie durch die Bemalung in der Tradition westlicher Pop-Art und Konzeptkunst „veredelt“ (vgl. Krämer / Maas 2010, S. 10 ff.; Du – Das Kulturmagazin 2011, S. 28). Neben biografischen Erfahrungen Ai Weiweis mit kulturellen Umbrüchen und Überlagerungen lassen sich hier transkulturelle Kontextualisierungen zur Pop-Art erarbeiten – z. B. Andy Warhols Campbell’s Soups (1962) bzw. seine Cola-Flaschen-Gemälde Green Coca-Cola Bottles (1962).
Außerdem ist ein Bezug zur ursprünglichen farbigen Bemalung antiker Skulpturen und gotischer Bauwerke und Plastiken sinnvoll – ein Blick, der die seit dem 19. Jahrhundert gereinigten und farblosen, klassizistischen Idealvorstellungen griechischer und römischer Plastiken irritiert.
Ähnlich überformt Ai Weiwei den historischen Blick auf die alten Vasen durch die Bemalung, was durchaus kritische Reflexionen kultureller Grenzüberschreitungen anbahnt.
In der Auseinandersetzung mit transkulturellen Beispielen aktueller Kunst und Kultur können in besonderer Verdichtung und in…
