Schnell husche ich in die Klasse, um noch zwei Stühle für die hospitierenden Kolleginnen in die Klasse zu stellen. Aber wohin mit den Stühlen? Im Klassenraum scheint kein einziger Zentimeter frei zu sein. Bei 25 Schülern, zwei Schulbegleitern und diversen Arbeitsecken ist der Klassenraum mehr als ausgefüllt. Also quetsche ich die Stühle neben ein Regal und werde mich bei den Kolleginnen für die Enge entschuldigen.
Die Situation in der Klasse
Zwei Schulbegleiterinnen betreuen Marius, einen Jungen mit dem Asperger-Syndrom, und Carlotta, ein Mädchen mit körperlich-motorischer Einschränkung. Natürlich sind das nicht die einzigen Schüler mit einem Unterstützungsbedarf. Fünf Kinder haben eine diagnostizierte LRS bzw. Dyskalkulie, zwei Schüler (Lukas und Tom) zeigen eine ausgeprägte Hyperaktivität, vier haben ein sehr problematisches häusliches Umfeld, ein Schüler (Lennart) scheint hochbegabt zu sein …
Ich bin mir sicher, dass die Situation in meiner Klasse mit der in den meisten Grundschulklassen in unserem Land vergleichbar ist und keine Besonderheit darstellt. Im Gegenteil, die Klasse ist gut zu unterrichten, weil weder die Schülerinnen noch die Schüler aggressiv sind. Alle kommen gern in die Schule, was meiner Meinung nach eine wichtige Voraussetzung für ein gutes Lernklima ist.
Heterogenität als Chance
Immer wieder komme ich wegen der Heterogenität der Gruppe an meine Grenzen und quäle mich am Ende des Schultags mit dem Gedanken, wieder dem einen oder anderen Schüler nicht gerecht geworden zu sein. Habe ich Karl, einem stillen strebsamen Schüler, heute überhaupt einmal ins Gesicht geschaut? Meine Aufmerksamkeit galt mal wieder sehr viel Lukas und Tom, die sich aufgrund ihrer Hyperaktivität nur sehr kurz mit ihrer Aufgabe beschäftigen konnten und dann in einen Streit gerieten, wer in der nächsten Pause den Fußball aus der Spieleausgabe holt.
Schon vor vielen Jahren haben wir uns entschlossen jahrgangsgemischte Klassen einzurichten. Seitdem plagen mich diese Gedanken seltener. Durch die Mischung von Erst- und Zweitklässlern mit Dritt- und Viertklässlern lösen wir uns von der Vorstellung, eine homogene Klasse zu unterrichten. Es wird uns immer deutlicher, dass gerade besonders schwache oder starke Schülerinnen und Schüler jede Motivation verlieren, wenn sie nicht ihrem Lernniveau entsprechend arbeiten können. Und dass die Motivation die Grundlage jeglichen Lernens ist, ist unbestritten.
Für uns eröffnet sich also die Möglichkeit, die Klasse als große heterogene Gemeinschaft zu sehen. Jetzt ist klar: Jedes Kind ist anders, jedes muss individuell betrachtet werden. Die Schülerinnen und Schüler sollen nicht mehr wegen einer Über- oder auch Unterforderung „im Regen stehen“. Wir wollen die Chance nutzen, dass Kinder auf unterschiedlichen Lernniveaus sowohl fachlich als auch sozial voneinander lernen können, wie in einer Familie.
So haben wir auch die Struktur unseres Unterrichts verändert. Jedes Kind bekommt einen individuellen Arbeitsplan und arbeitet in seinem Tempo und auf seinem Niveau. In Arbeitsphasen kann ich mich nun mit einzelnen Schülerinnen und Schülern befassen. Es gibt feste Verabredungspartner (s. Kasten 1), die miteinander arbeiten. Ka…