Durch Übersetzen von Quellen zur gemeinsamen historischen Sinnbildung
Durch das gemeinsame Übersetzen von Textquellen in „Leichte Sprache“ in möglichst heterogenen Kleingruppen, erschließen sich Lernende mit unterschiedlichem Förderbedarf gleichberechtigt Inhalt sowie Bedeutung der Quelle und diskutieren und beurteilen deren Aussage. Eine Einordnung in den historischen Kontext ist hier ebenso möglich wie die Betrachtung aus einer gegenwärtigen Perspektive. Die Schülerinnen und Schüler können sich so bewusst werden, dass die Quellenanalyse Rüstzeug der Geschichtswissenschaft ist, und dass die Interpretation zu Teilen auch immer die Perspektive des gegenwärtigen Betrachters widerspiegelt.
ThemaUntersuchen & UrteilenAutor/in Sebastian Barsch, Silja LeinungVeröffentlicht 22.07.2019Aktualisiert 25.08.2022
Sebastian Barsch/Silja Leinung
Das Konzept der „Leichten Sprache“ gewann in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung, um das Textverstehen von Menschen mit Lernschwierigkeiten zu erhöhen. Meist wird „Leichte Sprache“ genutzt, um vorhandene Informationen zu vereinfachen. Im schulischen Kontext geschieht dies etwa durch das Umschreiben von Schulbuchtexten. Das Produkt steht dabei im Vordergrund.
Die hier vorgestellte Unterrichtsmethode setzt einen anderen Fokus, da nicht eine Übersetzung in „Leichte Sprache“ als Basis für historisches Lernen, sondern der Prozess des gemeinsamen Übersetzens in „Leichte Sprache“ und damit die gemeinsame historische Sinnbildung im Zentrum steht. Durch das Aushandeln einer Übersetzung der Quelle in „Leichte Sprache“ erfahren die Schülerinnen und Schüler den Konstruktcharakter von Geschichte. Sie erkennen, dass Geschichtsschreibung ein sozialer Prozess ist, welcher von gegenwärtigen Normvorstellungen und narrativen Strukturen ebenso beeinflusst wird, wie von den empirischen Daten (Quellen) selbst. Der Unterrichtsablauf orientiert sich an einem quellenorientierten Geschichtsunterricht; die Quellenkritik wird auf sprachlicher Ebene angebahnt. Da der Fokus auf den methodisch-didaktischen Überlegungen für eine inklusive Quellenarbeit liegt, welche auf nahezu jedes Thema inhaltlich angewendet werden können, erfolgt die inhaltliche Ausgestaltung und Materialhandreichung exemplarisch.
Didaktische Überlegungen
Das Erlangen der „Narrativen Kompetenz“, die sich über Sprache äußert, gilt als Zielparameter historischen Lernens in nahezu allen Lehrplänen. Unter anderem in Folge der Inklusionsdebatte gibt es Bestrebungen, das narrative Paradigma für die Pragmatik historischen Lernens zu schärfen und handhabbar zu machen (Alavi/Franz 2017, S.40). Für Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten ist sprachbezogenes Lernen oft besonders anspruchsvoll.
Eine Facette von narrativer Kompetenz sind sprachliche Reflexionen über die Vergangenheit auf Basis von Quellen in verschiedenen Niveaustufen. Historisches Denken zeigt sich somit in Ansätzen auch schon dann, wenn Personen ihnen dargebotene Erzählungen über Vergangenheit in verschiedenen Medien kritisch hinsichtlich ihrer Objektivität hinterfragen und dies möglichst sachlich auf den ihnen zur Verfügung stehenden Niveaus versprachlichen oder wenn sie auf Basis von Quellen eigene historische Narrationen erstellen.
In der Unterrichtsdoppelstunde soll aus „Vergangenheitspartikeln (Quellen) und Geschichtsdeutungen (Darstellungen)“ eine Geschichte konstruiert werden, die „sachlich triftig“ ist (ebd., S.40). Ein gemeinsames „Übersetzen“ von Quellen in „Leichte Sprache“ stellt einen Konstruktionsprozess dar, da innerhalb einer Gruppe über den Inhalt einer Quelle Konsens hergestellt wird. Erzielt wird der Konsens vor dem Hintergrund von Fragen wie:
Wofür steht die Quelle im historischen Kontext?
Was steht überhaupt in ihr?
Würden die Worte und Formulierungen auch in der Gegenwart gewählt oder hat sich ihre Konnotation geändert?
Teilen alle in der Gruppe dieselben Interpretationen?
Was lässt sich mit der Quelle überhaupt über die Vergangenheit aussagen?
Wie bewerte ich die Quelle aus heutiger Perspektive?
Voraussetzung für die Erstellung solch einer gemeinsamen Übersetzung durch die Schülerinnen und Schüler ist die Kenntnis der Prämissen von „Leichter Sprache“. In einer inklusiven Lerngruppe können Lernende mit Lernschwierigkeiten als Expertinnen und Experten hierfür gelten. Außerdem kann mit Hilfe des Regelwerks des Netzwerks Leichte Sprache oder mit einem daraus entnommenen Leitfaden (Arbeitsblatt 2 ) in diese Bedingungen eingeführt werden. Ziele der Stunde sind, dass Quellen a) so übersetzt werden, dass sie für alle Lernenden…
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