Acker und Grünland

Das Verschwinden des Paradieses

Im Frühling leuchten die Blumen und ich fühle mich wie im Paradies, eines, das unsere Vorfahren geschaffen haben. Doch dieses artenreiche Paradies ist durch uns so bedroht wie kaum eine andere Landschaft Mitteleuropas.

Klatschmohn
Klatschmohn , Bild: T. Gerl

aus: Biologie 5-10 Nr. 38 / 2022

Acker und Grünland

  • Fachwissen
  • Schuljahr 5-13
Thema Ökologie Autor/in Thomas Gerl Veröffentlicht 11.05.2022 Aktualisiert 25.08.2022

Thomas Gerl

Das Verschwinden des Paradieses

„Wir lagen auf der Wiese und baumelten mit der Seele. Kurt Tucholsky (aus Schloß Gripsholm) Wenn im Frühling die Blumen in allen Farben leuchten, die Schmetterlinge von Blüte zu Blüte gaukeln und in der Abenddämmerung ein Reh mit Kitz vorsichtig zum Äsen in die Wiese tritt, dann fühle ich mich wie im Paradies. In einem Paradies, das von unseren Vorfahren geschaffen wurde. Doch dieses menschengemachte, artenreiche Paradies ist durch uns Menschen so bedroht wie kaum eine andere Landschaft Mitteleuropas. Grund genug, sich mit diesen Lebensräumen ausführlicher auseinanderzusetzen.

Vor etwa 12 000 Jahren war irgendwo im heute durch Krieg zerrütteten Land rund um Euphrat und Tigris eine erste menschliche Gemeinschaft des ewigen Pflanzensammelns müde. Kurzerhand säten diese die Pflanzenarten rund um ihre Behausungen an. Damit begann eine neue Ära der menschlichen Zivilisation. Aus umherziehenden Jägern und Sammlern wurden sesshafte Ackerbauern und Viehzüchter, die die Landschaft um ihr Zuhause herum dauerhaft veränderten. Aus der wilden Natur wurde eine gezähmte Kulturlandschaft zum Nutzen der Menschen.
Diese sogenannte neolithische Revolution unserer Lebensweise war erfolgreich. So erfolgreich, dass die Zahl der Menschen immer größer wurde und der Boden immer mehr Menschen ernähren konnte. Von Hunger getrieben flüchteten sie aus dem Zweistromland und zogen mit den Samen von Hafer, Gerste und Weizen Richtung Mitteleuropa. Wie genau es damals bei uns aussah, ist umstritten. Die gängige Theorie des mehr oder weniger einheitlich bewaldeten Germaniens wird in jüngerer Zeit immer mehr angezweifelt. Fachleute aus der Archäobotanik glauben, dass große Pflanzenfresser, Stürme und andere Ereignisse immer wieder deutliche Lichtungen in die Wälder rissen. Doch egal, ob Mitteleuropa völlig von Wald bedeckt war oder es immer wieder Lücken zwischen den Bäumen gab, eines ist sicher: Die damaligen Ökosysteme Mitteleuropas waren artenarm.
Aus heutiger Sicht erscheint es beinahe paradox, dass es gerade die menschliche Nutzung war, die den Artenreichtum Mitteleuropas hervorbrachte. Die neuen Siedlergemeinschaften hatten nämlich nicht nur Nutzpflanzen im Gepäck. Auch zahlreiche Wildkräuter, wie Klatschmohn oder Kornblume, brachten sie ungewollt in verunreinigtem Saatgut mit. Schon bald ersetzten blütenreiche Grünländer die pflanzenartenarmen Wälder und kleinstrukturierte Äcker mit zahlreichen Hecken boten Futter und Schutz für eine reiche Tierwelt.
Kulturlandschaften als Hotspots der Artenvielfalt
Doch die landwirtschaftliche Arbeit war eine mühselige Qual. Bis ins 19. Jahrhundert hinein bearbeiteten die Bäuerinnen und Bauern die Böden ihre Ernte mit bloßer Muskelkraft ab. Dabei rangen sie den kargen Flächen kaum genug ab, um ihre Familien zu ernähren. Sie trieben zudem Schweine, Rinder und Schafe in nasse Wiesen, auf unfruchtbare Flächen und auf die Almen im Gebirge, damit wenigstens eine Handvoll Nutztiere die Gebiete nutzte, die sich für den Ackerbau nicht eigneten. Schlechtes Wetter konnte Ernten vernichten und damit verheerende Hungersnöte auslösen.
Diese extensive Form der Landnutzung brachte zu Beginn des 19. Jahrhunderts zwar nur karge Ernten, aber einen immensen Artenreichtum hervor. Damalige Ornithologen weigerten sich zum Beispiel, Rebhühner zu zählen, weil ihre Zahl zu groß war. Körnerfressende Vögel waren eine Plage und eine Vielzahl von Ackerwildkräutern konkurrierte mit den Nutzpflanzen um die wenigen Mineralsalze auf den Äckern.
Die Reste dieser artenreichen Landschaft zeigen noch heute diese einst immense biologische Vielfalt. Auf beweideten Kalkmagerrasen finden sich beispielsweise bis zu 70 verschiedene Pflanzenarten pro Quadratmeter und damit weit…
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