Mario Urlaß
Künstlerische Projektarbeit in Klasse 1 und 2
Eine Schulbaustelle für eine neue Mensa erwies sich als Impuls und Resonanzraum für vielfältige recherchierende und gestalterische Erkundungen von Kindern. In spielerisch-experimenteller Weise waren sie in angeleitete Materialerkundungen und Bauprozesse involviert und zum künstlerischen Gestalten eigener „Bauwerke“ gefordert.
Kinder stören sich nicht an Baustellen, im Unterschied zu Erwachsenen. Im Gegenteil, Kinder finden sie ungemein interessant. Sie betrachten eine Baustelle mit Bewunderung, Neugier und Staunen, sind beeindruckt von den Maschinen, den in der Erde wühlenden Menschen, dem unfertig aus dem Boden Wachsenden. Walter Benjamin schreibt, in einem mit Baustelle betitelten Text: „Kinder nämlich sind auf besondere Weise geneigt, jedwede Arbeitsstätte aufzusuchen, wo sichtbar die Betätigung an Dingen vor sich geht. Sie fühlen sich unwiderstehlich vom Abfall angezogen, der beim Bauen (…) entsteht“ (vgl. Benjamin 2001, S. 21).
Modellhaft soll am Beispiel eines Baustellenprojekts dargestellt werden, welche Merkmale und Methoden künstlerische Projektarbeit in der Grundschule beschreiben. Das Projekt begann zunächst in strukturierten Phasen, wobei zunehmend eine Erweiterung und Ausdifferenzierung der inhaltlichen und gestalterischen Auseinandersetzung stattfand. Im Verlauf von fünf Monaten gab es Gelegenheit, unterschiedliche Aspekte zum Thema wahrnehmend, forschend und gestaltend zu erkunden, um später individuelle Wege zu verfolgen. Der 90-minütige Unterricht für 21 Kinder einer ersten Klasse fand wöchentlich statt. Er war als Projekt in das Konzept einer Ganztagsschule integriert.
Baubeginn
Als die Bauarbeiten für eine neue Schulmensa direkt neben dem Kunstraum der Grundschule begannen, drängten sich die Kinder an den Fenstern. Ihr Interesse an der Baustelle, die in den folgenden Wochen unser Resonanzfeld war, gab den Impuls unseres „Baubeginns“. Dies kennzeichnete zugleich die Offenheit gegenüber situativen Gegebenheiten, die sich als bildungswirksam erwiesen.
Am Anfang steht ein Plan. Ein Bauplan, der Informationen zur Bauausführung zeigt, ist das Herzstück auf jeder Baustelle. Diese Beobachtung machten auch die Kinder, wenn sie dem Treiben auf der Schulbaustelle zuschauten. Immer wieder blickten die Bauarbeiter auf ihren Plan, verglichen, zeigten, diskutierten. Wie sieht wohl so ein Bauplan aus? Große Papiere lagen bereit. Allein oder auch im Team sollten die Kinder zeichnerisch darstellen, wie sie sich solch einen Bauplan vorstellen. Dabei ging es nicht um den Anspruch der Richtigkeit, vielmehr um das Provozieren von Imaginationen, die ihre Basis aufgrund der Beobachtung der realen Baustelle hatten. Es zeigte sich ein Spektrum an unterschiedlichen Wahrnehmungen und Darstellungen von Räumlichkeit auf der Fläche, wie sie Kinderzeichnungen grundsätzlich eigen sind (Abb. 1
).
Durch diese erste Gestaltungsaufgabe entstand Neugier darauf, wie ein Bauplan tatsächlich aussieht. Wir luden einen Bauarbeiter in den Kunstraum ein, der bereitwillig den Plan der Mensabaustelle ausbreitete, den staunenden Kindern Details zur Draufsicht, zu Bauabschnitten und zum Baustellenzeitplan erklärte.
Während die Planung eines Gebäudes exakten Schritten folgt, entzieht sich ein getakteter Prozessablauf einem künstlerischen Projekt. Vielmehr entwickeln sich die Formen der Auseinandersetzung sukzessive, Phasen bauen aufeinander auf und sind weitgehend unvorhersehbar.
Spiel und Arbeit
Kinder sind erfahrene Spielerinnen und Spieler auf einer Baustelle. Sie setzen…
