Wer Rechtschreibung in der Grundschule erklärt, wird auf die sprachlichen Einheiten Laut, Silbe, Morphem und Satz zurückgreifen. Mit ihnen verbinden sich jeweils unterschiedliche Wege, die historisch gewachsenen Strukturen der Schriftsprachezu beschreiben, zu erklären und die Orthografie zu erlernen. Der Beitrag fragt danach, welche Chancen und welche Grenzen die Arbeit mit Silben, welche die mit Morphemen bietet. Er fragt auch danach, welche gegenstandsbezogenen Überlegungen unterrichtlichen Praktiken – wie Silben klatschen oder Zerlegen von Wörtern in Wortbausteine – zugrunde liegen und mit ihnen vermittelt werden. Zugleich richtet er den Blick auf die Lernwege der Kinder und auf die Gruppen, in denen sich das Lernen der Einzelnen vollzieht.
Begriffliche Klärung
Als Morpheme oder Wortbausteine werden die kleinsten bedeutungstragenden sprachlichen Einheiten bezeichnet (Abb. 1
). Das Wort „Einschulung“ besteht beispielsweise aus drei Wortbausteinen: zwei lexikalischen (ein, schul), die eine innere Vorstellung hervorrufen, und einem grammatischen (ung), der die Wortart anzeigt. Gliedert man das Wort in Silben, so käme man zu einer anderen Aufteilung: Ein-schu-lung. Diese Einteilung folgt nicht der Bedeutung, sondern dem Klang des Worts beim Sprechen, der Prosodie. Von der „Sprechsilbe“ ist die „Schreibsilbe“ zu unterscheiden, die gerade nicht von der gesprochenen, sondern von der geschriebenen Sprache ausgeht. Im Geschriebenen kann markiert werden, was in der gesprochenen Sprache nicht hörbar ist.
Sprechsilben – Klatschen und Schwingen
„Wenn du ein Wort deutlich und in Silben sprichst, kannst du hören, wie das Wort geschrieben wird.“
(Kollecker & Szugger 2021, S. 33)
Derartige Rechtschreibhilfen finden sich in aktuellen Lernmaterialien recht häufig. Vor allem das Schwingen oder Klatschen der Silben wird im Schriftspracherwerb verwendet, um den Lernenden orthografische Zusammenhänge zu erklären. Doch ist der Einsatz derartiger Segmentierungsstrategien wirklich gerechtfertigt? Die Antwort lautet: Es kommt drauf an!
Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Unterscheidung zwischen Sprech- und Schreibsilbe: Die Sprechsilbe kann als Einheit der gesprochenen Sprache betont oder unbetont ausgesprochen werden und enthält stets einen Vokal. Diese Information ist vor allem in der ersten Jahrgangsstufe von großer Bedeutung: Schreibungen wie *Regn* oder *Nudl* können durch die Segmentierung in Silben – auf der Ebene der Explizitlautung – verbessert werden, da bei „Regn“ und „Nu-dl“ in der unbetonten Silbe jeweils der Schwa-Laut [e] nicht verschriftet wurde. Die Sprechsilbe eignet sich ebenfalls zur Durchgliederung längerer Wörter, um den Prozess des Verschriftens durch das Aufteilen in Silben zu vereinfachen.
Es gibt also gute Gründe, mit Kindern die gesprochene Sprache in Silben aufzuteilen und daraus Rückschlüsse auf die Rechtschreibung zu ziehen. Problematisch wird es allerdings, wenn suggeriert wird, dass durch das Sprechen in Silben etwas erhört wird, das auf Sprechebene nicht erhört werden kann (s. Beispiel Silbentanzen).
Wie am Beispiel zu sehen ist, werden Kinder im Unterricht dazu ermuntert, Wörter in Silben zu sprechen, zu klatschen, zu schwingen oder zu tanzen, um herauszufinden, ob…