Die Erde ist ein Planet. Sie dreht sich um ihre eigene Achse und um die Sonne (Abb. 1a
). Diese Erkenntnis, die Nikolaus Kopernikus (1473–1543) (Abb. 1b) im 16. Jahrhundert in seinem Werk „Sechs Bücher über die Umläufe der Himmelskörper“ veröffentlichte, begründete das uns heute selbstverständlich erscheinende heliozentrische Weltbild. Es wurde in den darauffolgenden Jahren zunehmend gestützt durch die Studien von Johannes Keppler (1571–1630) (Abb. 1c), der die elliptischen Bewegungsbahnen um die Sonne nachwies, ebenso wie durch die Arbeiten des italienischen Mathematikers, Physikers und Philosophen Galileo Galilei (1564–1642) (Abb. 1d).
Dass die Erde sich um die Sonne dreht, ist heute Allgemeinwissen. Im 16. Jahrhundert jedoch kam die Formulierung des heliozentrischen Weltbildes einer Revolution gleich. Sie widersprach dem 1400 Jahre zuvor von Ptolemäus beschriebenen geozentrischen Weltbild (Abb. 2
), das bis dahin akzeptiert war und insbesondere von der katholischen Kirche propagiert wurde.
Die Evolutionstheorie – Auslöser einer wissenschaftlichen Revolution
Auch in der Biologie gibt es eine Theorie, die eine wissenschaftliche Revolution auslöste und das Weltbild der modernen Zivilisation in der Mitte des 19. Jahrhunderts grundlegend veränderte: die von Charles Darwin (Abb. 3a
) und Alfred Russel Wallace (Abb. 3b) begründete Evolutionstheorie. Mit dem Prinzip der natürlichen Selektion schlugen die beiden einen grundlegenden Mechanismus vor, der die Angepasstheit der Organismen an ihre Umwelt und die Vielfalt der Arten ausschließlich naturwissenschaftlich erklärt. Darüber hinaus liefert dieses Prinzip die Voraussetzung für das Verständnis der historischen Entwicklung aller Organismen auf der Erde einschließlich des Menschen.
Mit der Entdeckung des heliozentrischen Weltbildes und der Evolutionstheorie wurde die Weltsicht auf die Erde beziehungsweise das Selbstverständnis des Menschen und sein Verhältnis zu allen anderen Lebewesen fundamental verändert. Nur wenige naturwissenschaftliche Theorien haben eine solche „Erschütterungsmacht“ entwickelt wie diese beiden, die für ihre naturwissenschaftlichen Disziplinen jeweils einen fundamentalen Paradigmenwechsel bedeuteten.
Solche grundlegenden Paradigmenwechsel kommen im Verlauf des Fortschreitens der naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung nur sehr selten vor. Meist geht der wissenschaftliche Fortschritt in weitaus kleineren Schritten voran.
Beispiele für die Merkmale solcher wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung in der Biologie werden in den Unterrichtsvorschlägen in diesem Heft an ausgewählten Beispielen veranschaulicht und für den Unterricht aufbereitet. Sie bieten damit Lerngelegenheiten an, die zur Förderung eines Verständnisses der naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung im Unterricht eingesetzt werden können.
Der „Paradigmenwechsel“ nach Kuhn – ein weiter und strittiger Begriff
Naturwissenschaftliche Erkenntnisgewinnung entwickelt sich entlang den von Wissenschaftler:innen bearbeiteten Fragestellungen theorie- und datenbasiert über die Zeit. Sie bringt, insbesondere durch neue methodische Ansätze, neue Erkenntnisse hervor oder entwickelt bereits vorhandene Erkenntnisse weiter. Dies geschieht auf Basis von basalen, in der Wissenschaftsgemeinschaft einer bestimmten Disziplin zu einem bestimmten Zeitpunkt geteilten Grundauffassungen. Diese machen den wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu dieser Zeit aus. In der Biologie ist dies zum Beispiel seit der Entdeckung der Zelle die Zelltheorie. Sie sagt…