Annette Kern
Ein Rollenspiel zu Erzielung, Besteuerung und Umverteilungvon Einkommen
Die Erhebung von Steuern kann verschiedenen Funktionen dienen (vgl. z. B. Basisartikel von Tim Krieger in diesem Heft). Eine bedeutende Funktion in vielen Volkswirtschaften ist die der Einkommensumverteilung: Besserverdienenden wird etwas genommen – bei progressiv gestaltetem Steuersystem wird der relative Steueranteil zudem umso höher, je höher das Einkommen ist –, weniger gut Verdienenden und Bedürftigen wird gegeben, in Form von Transfers wie in Deutschland z. B. Sozialhilfe oder BAföG.
Steuern und Gerechtigkeit
Bei der Frage, nach welchen Kriterien und in welchem Umfang umverteilt werden sollte, spielen Gerechtigkeitsüberlegungen eine wichtige Rolle (vgl. für einen Kurzüberblick z. B. Hradil, 2012; umfassend Ebert, 2015): Sind die Ausgangsbedingungen, unter denen die Einkommen erwirtschaftet wurden, fair (Chancengerechtigkeit)? Spiegelt die Einkommenssituation eines Einzelnen die eigene Leistung wider (Leistungsgerechtigkeit)? Wie viel Einkommen ist nötig, um die Existenz zu sichern (Bedarfsgerechtigkeit)?
Einkommensunterschiede müssen für sich genommen noch kein Zeichen für Ungerechtigkeit sein: Sie können sich zum Beispiel daraus ergeben, dass manche Personen Freizeit einen höheren Wert beimessen und daher bewusst weniger arbeiten und entsprechend auch weniger verdienen. Sie können auch das Ergebnis unterschiedlicher Qualifikationsbemühungen oder Leistungsbereitschaft sein. Allerdings können auch Zufälle oder Glück das Einkommen beeinflussen, etwa wenn jemand eine gute Geschäftsidee zur richtigen Zeit hatte oder wenn durch Unfall oder Krankheit plötzlich keiner Erwerbsarbeit mehr nachgegangen werden kann. Jedoch lassen sich Einkommensunterschiede oft auch darauf zurückführen, dass Menschen mit ungleichen Startchancen ausgestattet sind. Manch einer hat vielleicht ein großes Vermögen geerbt und kann hierdurch ohne große Anstrengung viel Einkommen generieren, andere konnten durch herausragende Begabung und zusätzliche Förderung der Eltern einen Bildungsweg einschlagen, der ihnen das Ergreifen eines besonders einträglichen Berufs ermöglichte. Und selbst wenn die im freien Spiel der Märkte entstandene Einkommensverteilung einigermaßen gleich sein sollte, kann aufgrund unterschiedlicher Bedürftigkeiten – z. B. für Familien mit vielen Kindern gegenüber Einzelpersonen oder für Kranke gegenüber Gesunden – eine Einkommensumverteilung zugunsten der bedürftigeren Personen überlegenswert sein.
Didaktische Überlegungen
Die Unterrichtsidee zielt darauf ab, Schülerinnen und Schüler mit Fragen der Einkommenserzielung und Einkommensumverteilung zu konfrontieren. Sie versetzen sich in die Rolle erwachsener Bürger und simulieren in einer ersten Spielrunde die Einkommenserzielung mithilfe ihnen zugeteilter (und sehr unterschiedlicher) Ressourcenausstattung. Die in dieser Runde erworbenen Einkünfte werden für manche Teilnehmenden nicht auskömmlich sein, während andere „in Geld schwimmen“.
In einer zweiten Runde haben die Spielenden nun die Möglichkeit, Umverteilungsvorschläge, d. h. Ideen zur Besteuerung und zum Transfer von Einkommen, zu formulieren. Der Vorschlag, der in einer demokratischen Abstimmung unter allen Spielerinnen und Spielern die meisten Stimmen erhält, wird umgesetzt. Das so umverteilte Einkommen kann von den Schülerinnen und Schülern direkt vor Ort in Süßigkeiten eingetauscht werden. Die direkte persönliche Betroffenheit im Rollenspiel, unterstützt von gezielten Reflexionsfragen der Lehrkraft im Anschluss, regt die Lernenden zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Fairness der Einkommensverteilung und mit den Kriterien für Besteuerung und Transferzahlungen an.
Erweiterung für höhere Klassenstufen
In einer optionalen dritten Runde für Lerngruppen der Sek. II werden die Schülerinnen und Schüler aufgefordert, sich Einkommensumverteilungsregeln zu überlegen, die bei einer in Aussicht...
Unterricht Wirtschaft + Politik
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- Thema: Märkte & Akteure
- Autor/in: Annette Kern