Nina Simon
Augusto Boals „Statuentheater“ und diversitätssensible, diskriminierungskritische Bildung
Sich gesellschaftlicher Verhältnisse mittels theatraler Methoden bewusst werden und sie daran anknüpfend reflektieren: ein Vorgehen, das sich für verschiedene Fächer eignet.
An artist‘s duty […] “, antwortete Nina Simone einmal in einem Interview auf die Frage nach der Aufgabe von Künstlern, „is to reflect the times“ (Simone 2009). Diese Prämisse sollte nicht nur für Kunstschaffende gelten, sondern auch für Personen, die in Bildungskontexten tätig sind. Entsprechend soll in diesem Beitrag der Frage nachgegangen werden, welche Chancen, aber auch welche Risiken entstehen, wenn die kritische Reflexion gesellschaftlicher Verhältnisse durch theatrale Methoden angeregt wird.
Unterschied ist nicht gleich Unterschied
Ein Konzept, das es diesbezüglich zu beachten gilt, ist Diversität. Zwar ist dieses mittlerweile in aller Munde, (zu) selten wird dabei allerdings darüber nachgedacht, dass Unterschiede nicht gleich Unterschiede sind. Es sollte also beispielsweise nicht darum gehen, verschiedene, bunte Schuhe auf einem Plakat als Sinnbild für Diversität zu inszenieren, sondern vielmehr darum, gesellschaftlich wirksame Differenzverhältnisse kritisch zu hinterfragen und im Rahmen von Bildungsprozessen darauf abzuzielen, diese – zumindest versuchsweise – zu modifizieren (vgl. Mecheril 2015).
Dafür ist es erforderlich, Diversität mit Machtasymmetrien zusammen zu denken. Macht ist der Faktor, der es ermöglicht, Unterschiede, tatsächliche ebenso wie zugeschriebene, nicht nur als solche zu (re)produzieren, sondern zudem in Ungleichheiten zu verwandeln. Ein solches Verständnis von Diversität kann dazu beitragen, die Mechanismen von Inklusion und Exklusion zu verstehen.
Auch mit Blick auf die Funktionsweisen von Exklusion beziehungsweise Diskriminierung spielt Macht die zentrale Rolle: Gemein ist allen Diskriminierungsformen, dass sie stets sowohl auf individueller als auch auf institutionell-struktureller sowie medial-diskursiver Ebene wirken. Sie basieren stets auf einem diskursiv (re)produzierten binären Unterscheidungsschema (beispielsweise: Mann – Frau (Sexismus); Weiß – of Color (Rassismus)). Die Gruppe in der mächtigeren Position konstruiert dabei die je andere und generiert dadurch die Legitimation für das bestehende Machtungleichgewicht, das nicht umgekehrt werden kann. Daraus resultiert, dass beispielsweise nur Frauen (nicht aber Männer) Sexismus und nur People of Color (nicht aber Weiße) Rassismus erfahren (können).
Da People of Color aber beispielsweise nicht nur People of Color, sondern auch Frauen of Color oder Arbeiterinnen of Color sein können, gilt es zudem, die Überschneidung verschiedener Diskriminierungsformen in einer Person zu beachten. Hierfür kann das Konzept der Intersektionalität fruchtbar gemacht werden, da es mit diesem gelingt, die Verschränkung der Diskriminierungsformen zu fassen, die nicht als Addition zu verstehen sind, sondern in ihrem Zusammenwirken qualitative Unterschiede mit sich bringen (vgl. Walgenbach 2012).
Das eigene Involviertsein als Ausgangspunkt für theatrale Methoden
Sollen theatrale Methoden für Bildungsprozesse furchtbar gemacht werden, die es allen ermöglichen, sowohl über gesellschaftliche Verhältnisse als auch über die je eigene Position innerhalb dieser Verhältnisse zu reflektieren, ist es also unabdingbar, kritisch-reflexiv über Machtasymmetrien und die unterschiedlichen Positionierungen innerhalb dieser nachzudenken. Findet ein solches Nachdenken nicht statt, läuft der Einsatz theatraler Methoden in diesem Zusammenhang Gefahr, Analogien beispielsweise zum vorherrschenden Inklusionsdiskurs zu (re-)produzieren: Als „zu inkludierend“ werden in diesem Zusammenhang häufig nur die als „anders“ Konstruierten als gekennzeichnet. Dies trägt nicht nur zu einer Viktimisierung dieser Gruppe bei, sondern auch dazu, auf diese und nicht auf...
Schultheater
Sie sind bereits Abonnent?
Weiterlesen im Heft
Schultheater abonnieren und digital lesen!
- Exklusiver Online-Zugriff auf Ihre digitalen Ausgaben
- Print-Ausgabe der abonnierten Zeitschrift bequem nach Hause
- Zusatzvorteile für Abonnenten im Online-Shop genießen
- Thema: Pädagogik, Theatertheorie
- Autor/in: Nina Simon