Thomas Sander und Margrit Lang
Ein Stück (zu) Lessing’scher Toleranz-Versicherung
Mit dem Fokus auf der Ringparabel verband ein Oberstufenkurs Lessings „Nathan“ und seinen Toleranz- und Freiheitsbegriff mit der aktuellen politischen Situation und Themen, die sie beschäftigten und betrafen – etwa die Kopftuchdebatte oder die mediale Diskussion um den Begriff der „deutschen Leitkultur“. Für die Eigenproduktion „Bombenwetter. Das Kopftuch hält“ wurde der Ausgangstext durch eigene und andere Texte kontrastiert, demontiert, parodiert …
Inspiriert von Lessings Ringparabel – „Kinderchen, liebt euch!“ – haben wir mit 19 Schüler*innen des 13. Jahrgangs am Theodor-Heuss-Gymnasium Wolfenbüttel – „Lessing war ein guter Schüler, aber etwas mokant“ – anlässlich des 275. Geburtstages von Gotthold Ephraim Lessing im Jahr 2004 eine szenische Collage entwickelt – „Die Gedanken sind frei“ –, in der neben dem Kopftuchstreit – „Das Kopftuch ist ein politisches Symbol“ – aktuelle Äußerungen von Politikern – „I am a war president!“ – und Literaten zu Terrorismus – „Der islamische Fundamentalismus verkörpert den Totalitarismus im 21. Jahrhundert“ – und zum Irakkonflikt – „Wir müssen die Welt vom Bösen befreien“ – mit Lessings Toleranzbegriff – „Alle Religionen sind gleich wahr und gleich falsch“ – konfrontiert wurden – „Love all“.
Regionale politische Debatten und weltpolitische Situation
Während unser vorheriges Stück Der beißt nicht unter dem unmittelbaren Eindruck der Leitkulturdebatte zentral die Frage nach „Heimat“ und „Was ist Deutsch?“ stellte, verschob sich der inhaltliche Akzent bei Bombenwetter noch stärker auf den Zusammenhang zu Lessings Toleranzbegriff im Zuge der Debatten, die geführt werden, „wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher Religionszugehörigkeit und unterschiedlicher Überzeugungen aufeinander treffen“, wie der damalige Bundespräsident Johannes Rau in seiner Festrede zum Lessingjahr in Wolfenbüttel formulierte.1
Unser Entschluss, Lessings Nathan und vor allem die Ringparabel zum Ausgangspunkt unseres Produktionsprozesses zu machen, muss vor dem Hintergrund der politischen Debatten um deutsche Leitkultur, Kopftücher und kriegerische Interventionen in Afghanistan und im Irak in Folge der Anschläge in New York am 9. September 2001 gesehen werden.
Die Überlegungen des CDU-Abgeordneten Friedrich Merz zu einer „deutschen Leitkultur“ hatten zu einer öffentlichen Diskussion um die Frage nach einer westlichen, christlichen oder freiheitlich-demokratischen Leitkultur geführt, die bis dahin, als unser Lessingstück entstand, nachwirkte, allerdings mit veränderten Vorzeichen – denn 9/11 veränderte die politische Weltsituation beziehungsweise verstärkte bereits länger andauernde Entwicklungen. Es führte nicht nur 2002 zum „Krieg gegen den Terror“ gegen die islamistische Taliban-Regierung Afghanistans, die USA und einige Verbündete führten seit Frühjahr 2003 auch Krieg gegen den Irak, dem vorgeworfen wurde, den Al-Quaida-Terrorismus zu unterstützen und Massenvernichtungswaffen zu bauen.
In einem politischen Klima, in dem „der Islam [...] mit Fanatismus, Intoleranz und Militanz konnotiert“2 wurde und vor dem Hintergrund der Debatte um die Begriffe „Islamisierung“, „Islamismus“ und „Fundamentalismus“ fand nicht nur in Frankreich ein „Kopftuchstreit“ statt, sondern auch in Deutschland erfolgte im Herbst 2003 eine öffentliche Auseinandersetzung über das sogenannte Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgerichts und die von einigen Bundesländern – auch Niedersachsen – geplanten oder beschlossenen Kopftuchverbote. Am 3. Oktober 2003 hielt der damalige CDU-Abgeordnete Martin Hohmann eine Rede zum Tag der Deutschen Einheit, in der er von einer jüdischen „Täterschaft“ sprach und „Juden als Tätervolk“ bezeichnete. Während immerhin seine Rede eine politische Affäre auslöste, die zum Parteiausschluss des damaligen CDU- und jetzigen AfD-Politikers führte, konnte Hans Joachim Schädlich bei...
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- Thema: Spiel & Inszenierung, Pädagogik
- Autor/in: Thomas Sander, Margrit Lang