Sara Stolle
Spannende Unterhaltung oder leidvolle Erfahrung?
„Lukan lohnt sich“ – trotz grausiger und ekelerregender Partien. Die Schülerinnen und Schüler arbeiten heraus, wie Lukan den grausamen Inhalt verschiedenster Todesszenen sprachlich und stilistisch kunstvoll aufbereitet hat, und setzen sich damit auseinander, dass der schmale Grat zwischen Unterhaltung bzw. Faszination und Leid bzw. Ekel für jede Person anders erfahrbar ist.
„Kein Werk der römischen Literatur ist so reich an grausigen und ekelerregenden Partien wie die Pharsalia Lukans“, schreibt Manfred Fuhrmann in einem Aufsatz zur Funktion grausiger und ekelhafter Motive in der lateinischen Dichtung.1 Ist die Beschäftigung mit „grausigen und ekelerregenden Partien“ im Unterricht möglich oder vielmehr erträglich? Diejenigen, die Lucan kennen, fragen sich dies wahrscheinlich nicht nur hinsichtlich des Inhalts sondern auch in Bezug auf den Schwierigkeitsgrad seiner Texte oder in Bezug auf seine eigene Interpretation der epischen Literaturgattung. Es gibt aber auch nennenswerte Argumente dafür, Lucan den Schülern nicht vorzuenthalten: So überzeugt der bei Lucan behandelte historische Kontext des Bürgerkrieges nicht nur, weil dieser bei abiturrelevanten Autoren wie Caesar und Cicero stets präsent ist, sondern auch, weil das historische Geschehen selbst von einem bisher unbekannten Autor in anderer Form wiedergegeben wird. Die Schülerinnen und Schüler erhalten somit eine multiperspektivische Sicht auf ein antikes Ereignis. Auch ist die fast künstlerische Ausschmückung von vor Gewalt strotzenden Inhalten eine sprachlich-stilistische Analyse wert. Damit einher geht die grundsätzliche Thematisierung von Gewalt, die für die Schülerinnen und Schüler in ihrer eigenen Lebenswelt brandaktuell wie äußerst fragwürdig ist.
„Game of Thrones – Top Ten Fighting Scenes“
Die Unterrichtsidee, die für die Sekundarstufe II konzipiert ist, besteht aus einer sprachlichen und inhaltlichen Auseinandersetzung mit einer Textstelle aus Lucans Bellum civile unter der Fragestellung „‚Splatterszenen‘ auf Latein – eine spannende Unterhaltung oder eine leidvolle Erfahrung?“.2 Der Einstieg in die Sequenz kann über einen Ausschnitt aus einem der auf YouTube verfügbaren Videos zur Fantasy-Serie „Game of Thrones“, wie z. B. „Game of Thrones Top 10 Fighting Scenes“, geschehen. Die Serie erfährt seit Beginn ihrer Ausstrahlung einen großen Hype – trotz oder nicht zuletzt aufgrund der schonungslosen Zurschaustellung von Gewaltexzessen, die beim Zuschauer eine verstörende Faszination wecken und zugleich jegliche Leinwand-Tabus brechen. Das durch die Gewalt ausgelöste Wechselspiel von Spannung und Leid, so beschreibt es ein „FAZ“-Autor, mache die Serie sehenswert.3
Wirkung der modernen Gewaltszenen
Das Video zielt darauf ab, die Schülerinnen und Schüler die bei ihnen hervorgerufene Wirkung des Videos in Worte fassen zu lassen. Falls diese Form des Einstiegs entweder aufgrund der Sensibilität der Lerngruppe oder des mangelnden Bezugs zur Serie nicht verwendbar ist, kann eine andere Form gewählt werden. Wesentlicher Bestandteil des Einstiegs sollte eine Hinführung zur oben genannten Leitfrage sein, sei es durch die Formulierung einer Definition des Begriffes „Splatterszenen“ durch die Schüler oder durch Vorgabe dieser Definition. Der Begriff „Splatterszenen“ ist bewusst provokativ gewählt und kann zu einer kritischen Diskussion einladen.
Wirkung der antiken Gewaltdarstellungen
Wie die Leitfrage anklingen lässt, geht es bei dieser Idee neben der sprachlichen Auseinandersetzung mit antiken Ausdrucksformen von Gewalt vor allem um die Wirkung antiker Gewaltdarstellungen auf das Leserpublikum – sowohl auf das damalige als auch auf das heutige. Dadurch, dass die Jugendlichen in ihrer heutigen Lebenswelt durch die mediale Überflutung ständig mit Gewalt konfrontiert werden, scheint ihnen ein antiker Text wie der Lucans mit der detaillierten Schilderung einer Schlachtszene gar...
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- Thema: Lateinische Autoren
- Autor/in: Sara Stolle