Michael Kolbenschlag/ Redaktion
„Heil dir im Siegerkranz“
Nach der Gründung des Deutschen Reichs 1871 wurde das Lied „Heil dir im Siegerkranz“ zur inoffiziellen Nationalhymne – dem Kaiser gewidmet, mit identitätsstiftender Funktion. Doch nicht überall fand das Lied positiven Anklang.

Das Lied "Heil dir im Siegerkranz" geht auf ein Lied zu Ehren des dänischen Königs Christian VII. zurück. Es war ursprünglich eine preußische Volkshymne, ein patriotisches Lied, das zu Ehren Preußens gesungen wurde und die Bande des Volkes zum preußischen Kaiser kräftigen sollte.
Ein Lied zur Gründung des Deutschen Reichs 1871
Nach der Reichsgründung 1871 wurde das Lied zur inoffiziellen Nationalhymne. Es wurde insbesondere im Rahmen von festlichen Anlässen gesungen. Der Text wurde auf die Melodie der englischen Hymne "God saves the Queen/ King" verfasst.
Einigen Bundesstaaten des Kaiserreichs wurden im Zuge der Reichsgründung so genannte "Reservatrechte", also Sonderrechte, zugesichert, so den Königreichen Bayern, Sachsen und Württemberg. Die Reservatrechte spielten in den betroffenen Bundesstatten eine große Rolle als Zeichen staatlicher Eigenständigkeit. Nach der Garantie von Sonderrechten fiel es diesen Staaten psychologisch leichter, dem von Preußen dominierten Reich beizutreten.
Zwar lässt sich von einer preußischen Reichsgründung sprechen, auch von einem preußisch geprägten Reich, dieses Reich hatte jedoch einen föderativen, beinahe staatenbündlerischen Charakter. Keinesfalls aber war die Politik des Kaiserreichs a priori nationalistisch geprägt. Etwaiges Nationalpathos wurde durch die ökonomischen Probleme und innenpolitischen Zerwürfnisse der Bismarck-Jahre schnell ausgenüchtert, der Nationalstaatsgedanke wurde im Spannungsfeld der nicht vollumfänglich befriedigten Aspirationen der Nationalbewegung und der distanzierten, mitunter preußenkritischen Haltung der zentralismuskritischen Partikularstaaten zerrieben. Erst die Andeutung einer kolonialistischen, imperialistischen Politik unter Kaiser Wilhelm II. – die Bereitschaft, Weltpolitik zu betreiben – bewirkte eine atmosphärische Veränderung. 1892 bestimmte Wilhelm II. die Nationalflagge, 1897 erhielten die Angehörigen der Armee ein gemeinsames Zugehörigkeitszeichen – und insbesondere die Flottenpolitik stärkte das aufkommende Nationalgefühl noch.
Was sagt das Lied über das Kaiserreich aus?
"Heil dir im Siegerkranz" wurde zwar die inoffizielle Nationalhymne des neu gegründeten Staates, doch nicht überall fand das Lied positiven Anklang. Die Identitätsprobleme des Kaiserreichs spiegeln sich darin, dass viele Teilstaaten des Reiches dem Lied kritisch gegenüberstanden. In vielen Staaten entstanden bald Umdichtungen des Lieds. Die Melodie wurde beibehalten, der Text allerdings verändert.
Die verschiendenen Liedvariationen verdeutlichen im Kern die Identitätskonflikte und -konkurrenzen im Kaiserreich. Michael Kolbenschlag zeigt mit seinem Unterrichtsvorschlag, wie die Lieder als Bestandteil eines multiperspektivischen Quellenarrangements im Unterricht zum Einsatz kommen können. Mittels Analyse der Liedvariationen können sich die Lernenden in einem induktiven, quellenbasierten Zugriff die Zusammenhänge der Identitätsprobleme im Kaiserreich selbst erarbeiten.
Falls Lernende die Frage stellen, weshalb die inoffizielle Nationalhymne des Kaiserreichs in der Melodie der englischen Nationalhymne gesungen wird, kann auf die Entstehungsgeschichte des Liedes verwiesen werden: Die Urfassung des Liedes stammt vom Schriftsteller Heinrich Harries; 1790 verfasste dieser ein „Lied für den dänischen Untertan, an seines Königs Geburtstag zu singen in der Melodie des englischen Volksliedes God save George the King.“ 1793 wurde das Lied auf den preußischen König Friedrich Wilhelm II. umgedichtet, wobei die feierliche, den patriotischen Gedanken musikalisch untermalende Melodie beibehalten wurde. Die Melodie war im 19. Jahrhundert weit verbreitet und wurde aufgrund der verschiedenen Liedversionen nicht allein mit der englischen Nation verknüpft. Die Melodie-Anleihe führte schließlich doch aber dazu, dass die Könige bald neue Hymnen favorisierten.
- Thema: Neue & Neueste Geschichte
- Autor/in: Michael Kolbenschlag/ Redaktion