Christin Hansen / Berit Pleitner
Stereotype und historisches Lernen
Schülerinnen und Schüler kommen täglich in Kontakt mit Stereotypen – häufig, ohne sich dessen bewusst zu sein. Eine jüngst veröffentlichte Studie der MaLisa-Stiftung zeigt zum Beispiel auf, dass längst überholt geglaubte Rollenklischees in den sozialen Medien gang und gäbe sind: „Während Frauen sich überwiegend im privaten Raum zeigen, Schminktipps geben und Hobbies wie Basteln, Nähen oder Kochen präsentieren, bedienen Männer deutlich mehr Themen: von Unterhaltung über Musik bis zu Games, Comedy und Politik“ (https://malisastiftung.org/wp-content/uploads/Selbstinzenierung-in-den-neuen-Medien.pdf). Sexy, langhaarig und dünn muss man sein, um als Mädchen auf Instagram Erfolg zu haben – ansonsten, so berichten Youtuberinnen, hätten sie mit bösen Kommentaren und Schwund an Followern zu kämpfen (ebd.).
Stereotype im Alltag
Geschlechterstereotype sind nur ein Beispiel für die große Bandbreite an möglichen Stereotypen über gesellschaftliche Gruppen, seien es Nationen (die ‚oberflächlichen Amis‘), Berufe (der ‚zerstreute Professor‘), Religionen bzw. Konfessionen (der ‚gewaltbereite Islam‘) oder andere. Im täglichen Schulumfeld können diese Gruppierungen zum Beispiel, ‚die Lehrer‘ oder ‚die Ausländer‘ sein oder schlicht die Parallelklasse – ‚die 8 a‘. Plötzlich werden dann allen Schülerinnen und Schülern dieser Klasse die gleichen Eigenschaften nachgesagt – sie sind entweder doof oder eingebildet oder gemein oder Streber. Dass es sich dabei nur um Zuschreibungen handelt und nicht um die Realität, ist vielen Lernenden nicht unbedingt klar. In manchen Fällen können geduldige Gespräche zu einer zumindest etwas differenzierteren Sichtweise führen, denn am Ende kennt jeder Schüler und jede Schülerin doch irgendjemanden aus der 8 a, der oder die nicht in dieses Bild passt, und so kann man verdeutlichen, dass bestimmte Eigenschaften schwerlich auf eine ganze Gruppe zu übertragen sind.
Bei gesamtgesellschaftlichen Diskursen ist dies wesentlich komplexer. Wenn die Zeitschrift focus auf dem Titelblatt die „Wahrheit über falsche Flüchtlinge“ (focus 25. 7. 2015) verspricht oder die BILD-Zeitung die „Wahrheit über kriminelle Ausländer“(BILD 4. 1 .2008), dann erlebt man als Lehrkraft oft eine ganz andere Reaktion als bei der Nachbarklasse – nämlich dass jeder jemanden kennt, auf den die Zuschreibung seiner Meinung nach sehr wohl passt, und diese somit scheinbar verifiziert wird. Kündigt die BILD-Zeitung schließlich „[d]ie große Debatte über das Frauenbild von Flüchtlingen“ (BILD 7. 12. 2016) an, so nehmen die Schülerinnen und Schüler ohne weitere Nachfrage an, dass es sich hier um ein negatives, frauenfeindliches Bild handeln muss – obwohl dies ja gar nicht explizit in der Überschrift steht. Sie sitzen damit – wie wir alle – dem Stereotyp auf, dessen Kunst genau darin besteht, mit nur einem Wort ganz viele Zuschreibungen bei uns wachzurufen, die sich zu einem Fremd- oder gar Feindbild verdichten können, dabei aber gleichsam als Realität oder Wahrheit wahrgenommen werden.
Stereotypen als Unterrichtsgegenstand
Für den Unterricht ergeben sich hieraus drei Fragestellungen, unter denen das Thema Stereotypen mit den Schülerinnen und Schülern behandelt werden sollte: Warum gibt es solche Fremd-, gar Feindbilder, in Gesellschaften? Wie genau funktionieren Stereotypen? Wie kann ich solche Bilder erkennen, einordnen und reflektieren?
Prinzipiell ist es laut der Sozialpsychologie fast unmöglich, ohne Stereotype zu leben, da man sie benötigt, um sich zu orientieren und die Welt um sich herum zu ordnen (Klauer 2008, S. 23 f.). Folglich kann es nicht das Anliegen sein, Stereotype nur zu beschreiben und zu widerlegen, sondern vielmehr danach zu fragen, wie und warum wir sie gebrauchen. Gleichzeitig ist damit einhergehend die Frage zu stellen, ab wann Stereotype eine radikale Dimension erreichen, sodass sie in Folge zu Ausgrenzung gar Diskriminierung führen....
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- Thema: Längsschnitte, Methodik & Didaktik
- Autor/in: Christin Hansen, Berit Pleitner