Jens Unterberg
Den Roman L’année la plus longue mit einem Lernjournal erschließen
Daniel Greniers Roman bietet einen interessanten Einstieg in die Geschichte Québecs und Nordamerikas. Mithilfe eines Lernjournals wird dabei eigenverantwortliches und dialogisches Lernen sowie individuelles Lerntempo und Schwerpunktsetzung gefördert.
Offener Unterricht – etwa im Rahmen eines Lerncenters (s. Kasten 1) – setzt auf Eigenverantwortung und verlangt eine entsprechende Aufgabenkultur.
Ein entsprechendes „Aufgabenmenü“ (vgl. von der Groeben & Kaiser 2012) fördert ein projektartiges Arbeiten, bei dem die Schülerinnen und Schüler ihren Lernprozess selbst überwachen und am Ende ein Produkt in Händen halten: ein Lernjournal. Der Prozesscharakter stärkt hierbei nicht nur die Eigenverantwortlichkeit, sondern erlaubt ein unterschiedliches Lerntempo, eine differenzierbare Schwerpunktsetzung, die Möglichkeit des Nachholens (z. B. grammatischer Strukturen) und das vernetzte Lernen. Darüber hinaus soll das dialogische Lernen gefördert werden: Die Schülerinnen und Schüler werden dazu ermutigt, ihre Erfolge und Schwierigkeiten mit anderen zu besprechen. Nicht zuletzt ist ein interdisziplinäres Arbeiten erwünscht. Diese neue Aufgabenkultur wird u. a. dadurch gefördert, dass gleich zu Beginn das gesamte Anforderungsprofil bzw. alle obligatorischen und fakultativen Aufgaben vorgelegt werden (fdt 1 & 2 , solutions : doc 6 ). Ein solches Vorgehen soll im Folgenden am Beispiel des Romans L’année la plus longue von Daniel Grenier vorgestellt werden. Die Unterrichtseinheit dient als Fundament zum Thema „Geschichte Québecs und Nordamerikas“ und erlaubt darüber hinaus eine Ausdifferenzierung: Denkbar sind etwa vertiefende Arbeiten zu aktuellen Konfliktbereichen wie Amok an Schulen, Kanadas Umgang mit indigenen Völkern und das Verhältnis von Trudeau zu Trump.
1 Offener Unterricht
1 Offener Unterricht
„Offener Unterricht ist nicht eine bestimmte Unterrichtsmethode neben anderen, sondern bezeichnet eine pädagogische Position, die vom Modellfall des selbstgesteuerten Lernens ausgeht. Offene Unterrichtsformen [...] eignen sich sehr gut für individualisiertes Lernen und bieten damit eine Antwort auf zunehmend heterogene Lerngruppen. Alle Formen des offenen Unterrichts gehen von einer verbesserten Lernorganisation, einem erweiterten Lernbegriff und von einer veränderten Beziehungsstruktur zwischen Lehrenden und Lernenden aus.“ (Grünewald: 2017, S. 95).
Am Landheim Schondorf ist ein Lerncenter fest im Stundenplan institutionalisiert worden: Zwei Stunden pro Unterrichtstag haben die Schülerinnen und Schüler Gelegenheit, unter Aufsicht von Lehrkräften zu lernen und Unterrichtsstoff zu vertiefen. Dieses Format setzt auf die Eigenverantwortung der Schülerinnen und Schüler für ihren Lernfortschritt, es zielt aber auch auf eine Reflexion über das Lernen selbst. Diese Zeiträume, während derer die Lehrkräfte nicht frontal unterrichten, sondern als Lerncoaches fungieren, verlangen eine andere Aufgabenkultur.
L’année la plus longue
Daniel Grenier (geboren 1980) hat mit seinem Debütroman L’année la plus longue (2015) in Quebec einen Achtungserfolg erlangt. In diesem Roman, der in der Tradition der nordamerikanischen Prosa steht und episch weit ausgreift, symbolisiert das Gebirge der Appalachen die gemeinsame Geschichte Kanadas und der USA (die Appalachen ziehen sich von den US-amerikanischen Südstaaten bis hoch in die Québecer Gaspésie-Halbinsel): Die geschichtlichen Ereignisse, meist kriegerischer oder rassistischer Art, werden als Prozesse der Erosion, der Korrosion und Zersetzung metaphorisiert. Das Gebirge ist die Verbindung zwischen Québec und den USA, es garantiert die Kommunikation über linguistische, ethnische, kulturelle, religiöse und politische Grenzen hinweg, birgt aber auch ein Konfliktpotenzial, das in diesem Roman zum Tragen kommt. Mit dieser Darstellung knüpft Grenier an die aktuelle Lebenswelt an, denn die...
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- Thema: Interkulturelles, Literatur
- Autor/in: Jens Unterberg