Robert Bittorf und Bernhard Sieve
Ein Modellexperiment zur Erklärung des Reaktionsmechanismus
Die radikalische Substitution ist der klassische Einstieg in die Mechanismen der organischen Chemie. Die Einführung von Halogenen in Alkane eröffnet dieser ansonsten chemisch eher unspektakulären Gruppe von Kohlenwasserstoffen ein breites Spektrum chemischer Möglichkeiten. So erlauben die entstehenden Halogenalkane den Übergang in den Bereich der nucleophilen Substitution und weiterer, komplexerer organisch chemischer Reaktionsmechanismen.
Als erstem vermittelten Mechanismus der organischen Chemie kommt der radikalischen Substitution damit eine weitere wichtige Rolle zu. Zum ersten Mal sollen die Schülerinnen und Schüler den Übergang von der bisher gewöhnten produktorientierten Sichtweise der Chemie auf eine prozessorientierte Sichtweise vollziehen. Allerdings sind die dynamischen Zusammenhänge während der radikalischen Substitution meist schwer nachvollziehbar und die vermittelten Fachwörter wie Kettenstart, -fortführung und -abbruch bleiben meist prototypisch ohne tieferes Verständnis für die verschiedenen ablaufenden Reaktionen im Gedächtnis. Dies zeigt sich im Unterricht häufig daran, dass die beschriebenen Reaktionsgleichungen einfach nur auswendig gelernt werden und das dahinterliegende Prinzip – eben die Dynamik – häufig nicht hinreichend klar wird.
Das hier vorgestellte Modellexperiment soll die verschiedenen Dimensionen und Potenziale der radikalischen Substitution für die Schülerinnen und Schüler veranschaulichen und fassbar machen. Durch den Einsatz eines einfachen Teilchenmodells als Vertreter für speziell im Mechanismus auftretende Moleküle und Radikale wird der Fokus auf statistische Zusammenhänge sowie den Gesamtzusammenhang der verschiedenen beteiligten Reaktionen gelegt.
Vor der Durchführung des Spiels sollten die Beobachtungen zur radikalischen Substitution geklärt und die Edukt-Teilchen sowie die Produkt-Teilchen über Nachweisreaktionen ermittelt worden sein. Alle sieben möglichen Teilchen innerhalb einer radikalischen Substitution sind als Kugeln verschiedener Farben repräsentiert (vgl. Tab. 1).
Zu Beginn werden 5 grüne Kugeln (Halogen-Moleküle) und 20 schwarze Kugeln (Alkan-Moleküle) auf einen waagereicht nivellierten Tisch gelegt. Ein Gummischlauch von etwa 1 Meter Länge, der mit Klebeband zu einem Kreis gelegt wurde, dient als Begrenzung und modelliert die Gefäßwände und das Volumen des Reaktionsgefäßes. Der Modellversuch spiegelt natürlich nicht die realen Stoffmengenverhältnisse beispielsweise der Bromierung von Heptan wider (1 Tropfen Brom entsprechen etwa 2 mmol Brom-Molekülen, 50 mL Heptan etwa 0,35 mol Heptan-Molekülen; das Stoffmengenverhältnis wäre somit 1 : 175). Es folgt der Beginn der ersten Runde. Eine Runde ist dabei in vier Phasen unterteilt. Der Start der Reaktion erfolgt durch die gedachte Einstrahlung von Licht und der folgenden Spaltung eines Halogen-Moleküls in zwei Halogen-Radikale: eine grüne Kugel wird durch zwei rote Kugeln ersetzt. Nun bewegt man alle Kugeln im „Reaktionsraum“, z. B. durch Vermischen mit den Händen. Stehen alle Kugeln wieder still, werden die roten Kugeln, die eine andere Kugel berühren, zusammen mit der berührten Kugel herausgenommen und durch die repräsentative Kugel des neu entstandenen Teilchens ersetzt. Entstehende lila Kugeln werden anschließend wieder entfernt, um zu modellieren, dass der entstandene Halogenwasserstoff als Gas das Reaktionsgemisch verlässt. Liegen die beiden roten Kugeln aneinander, werden sie durch eine grüne Kugel ausgetauscht.
Sind alle eventuellen „Reaktionen“ durchgeführt, werden die Kugeln gezählt und die Anzahlen aufgeschrieben (s. Tab. 2). Eine neue Runde beginnt wieder mit der gedachten Einstrahlung von Licht und der folgenden Spaltung eines Halogen-Moleküls in zwei Halogen-Radikale. Die Kugeln werden wieder bewegt und die zweite Runde beginnt. Die Durchführung erfolgt analog zur Ersten und nach dem...
Sie sind bereits Abonnent?
Jetzt ganz einfach mit F+ weiterlesen
- 30 Tage kostenloser Vollzugriff
- 5 Downloads gratis enthalten
- Thema: Organische Chemie, Methoden & Konzepte
- Autor/in: Robert Bittorf und Bernhard Sieve