Bernhard Sieve, Nicole Graulich, Ira Caspari und Robert Bittorf
In der Chemie als Fachwissenschaft sowie im Unterrichtsfach Chemie geht es stets um Prozesse. Beispiele für Prozesse sind Stoffumwandlungen bei chemischen Reaktionen sowie Löse-, Kristallisations-, Fällungs-, Diffusionsprozesse und Phasenübergänge. Neben dem „Anfangs-“ und dem „Endzustand“ dieser Prozesse werden sie durch die Veränderungen charakterisiert, die dazwischen ablaufen. Nur eine Betrachtung dieser Veränderungen auf dem Weg vom „Anfangs-“ zum „Endzustand“ kann die eigentliche Prozesshaftigkeit für den Beobachter auf phänomenologisch stofflicher Ebene erfahrbar machen. Mit der Prozesshaftigkeit auf stofflicher Ebene geht eine Prozesshaftigkeit der Teilchenebene einher: Stets geht es um das Zusammentreffen von Teilchen, wobei infolge von Kollisionen und Wechselwirkungen Veränderungen in der Anordnung, Geschwindigkeit, Bewegungsrichtung sowie Struktur und Aufbau der Stoffbausteine erfolgen können. Die Beschreibung der Veränderung auf Stoff- und Teilchenebene zwischen Anfangs- und Endzustand verschafft einen ersten Eindruck von Prozesshaftigkeit. Jedoch umfasst Prozesshaftigkeit noch mehr. Vorgänge verlaufen selten nur in eine Richtung (von A nach B) ab, sondern sind vielfach reversibel, wodurch sich ein dynamisches Gleichgewicht einstellt. Die stoffliche Bilanz verändert sich dann nicht mehr, trotzdem finden auf der Teilchenebene weiterhin Veränderungen statt. Die Modellierung der zugrunde liegenden Prozesse chemischer Reaktionen auf Teilchenebene ist Gegenstand der Forschung.
Den Prozesscharakter und die Dynamik von chemischen Phänomen zu erfassen, stellt für Lernende eine Hürde dar und nur selten werden ihnen die hinter den Phänomenen steckenden Vorgänge hinreichend bewusst. Eine Erklärung liegt darin, dass über weite Strecken des Chemieunterrichts der Sek. I der Fokus eher auf dem „Anfangs-“ und dem „Endzustand“ liegt, was eine statische Sichtweise auf die Phänomene fördert. Diese Prozessferne drückt sich auch in der chemischen Symbolsprache aus: Reaktionsschemata und Reaktionsgleichungen fokussieren auf die Edukte und die Produkte einer Reaktion. Lediglich der Reaktionspfeil verweist auf den Prozess der Stoffumwandlung. Eine modellhafte Betrachtung des Reaktionsweges, also der Entwicklung von Vorstellungen, was mit den Bausteinen eines Stoffes geschehen muss, damit man vom Edukt zum Produkt kommt (allgemein: vom Zustand A zum Zustand B), kann die Symbolsprache nur leisten, wenn man bewusst den Schritt in die mechanistische Betrachtung einer Reaktion geht. Damit Prozesse keine „black box“ bleiben, müssen also die konkreten und differenziert beschreibbaren Veränderungen auf Stoff-, Teilchen- und energetischer Ebene visualisiert und modelliert werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Lernende in einer statischen Betrachtungsweise verhaftet bleiben [1].
Methode & Didaktik
Schuljahr
5-12
Information: Erfahrungen nutzen, um den Prozesscharakter in der Chemie zu verstehen
Information: Erfahrungen nutzen, um den Prozesscharakter in der Chemie zu verstehen
Sowohl Aspekte von Prozesserfahrungen von Lernenden im Alltag, als auch Prozesse chemischer Reaktionen lassen sich mit einem Start-Weg(e)-Ziel-Schema (Abb. 1) vergleichen [6].
Man hat vor der Reaktion ein oder mehrere Edukte (Start), die dann einen bestimmten oder mehrere mögliche Reaktionsweg(e) (Weg) durchlaufen, bis das oder die Produkt(e) hergestellt wurden (Ziel). Basal und damit schülernah ist dieser Vergleich deswegen, weil jeder aus Erfahrung weiß, dass man über einen oder mehrere Wege von einem zum anderen Ort gelangen kann. Die Erfahrung lehrt aber auch, dass man häufig, aber nicht immer, über die gleichen Wege wieder von Ort B nach Ort A kommen kann. Überträgt man diese Analogie und den damit verbundenen Gedanken der Reversibilität auf die chemischen und physikalischen Prozesse, zeigt sich, dass z. B. bei Löseprozessen und auch bei Aggregatzustandsänderungen das Start-Weg(e)-Ziel-Schema in beide...
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- Thema: Chemische Reaktionen, Methoden & Konzepte
- Autor/in: Bernhard Sieve, Nicole, Graulich, Ira Caspari und Robert Bittorf